Es ist eine Debatte losgerollt über die Methodiken und Strategien der “Letzten Generation”. Es gibt Gegenstimmen (“nicht zielführend”) und Dissoziierungen (“wir wollen nicht mitradikalisiert werden”). Eine gute Gelegenheit, dass wir als #coachesforfuture deklarieren, wie wir damit umgehen.
Es widerspricht der Haltung von #coachesforfuture, sich inhaltlich zu positionieren – wir positionieren uns also nicht, ob das Ankleben und Bilderrahmenbeschütten gut oder schlecht ist. In unserer Rolle als Beratende nehmen wir also zum Thema „ist die LG zielführend?“ nicht Stellung. Wir sind ein Supportsystem für die Klimabewegung. Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Handlungsfähigkeit der Bewegung als Ganzes zu unterstützen und zu fördern.
Aber ist das nicht gerade ein Thema, das die Handlungsfähigkeit der Klimabewegung massiv berührt? Tragen wir ein paar Bausteine zusammen:
Eines ist klar: Die Diskussion wurde von Klimaleugnern und -verharmlosern begonnen. Es sind insbesondre rechtskonservative bis rechtsextreme Gruppen, die die “Letzte Generation” “radikal” nennen und massive Bestrafungen fordern. Eine Dissoziation innerhalb der Bewegung ist das, worauf sie genau gewartet haben – sie haben nämlich den Radikalisierungsdiskurs begonnen. Die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack hat im österreichischen “Standard” eine sehr treffende Analyse vorgelegt, nach welchem Drehbuch dies erfolgt: Es geht um die Inszenierung eines Kulturkampfs als Ersatz für Politik mit Visionen (https://www.derstandard.at/story/3000000180907/folgt-die-214vp-dem-tory-drehbuch). Ein Import dieses Kulturkampfs würde heißen, ihnen auf den Leim zu gehen und von der Sache abzurutschen.
Historisch hatten alle großen sozialpolitischen Bewegungen (insbesondre die erfolgreichen) große Differenzen im Handeln und in strategischen Zugängen: Die Proponentinnen der frühen Frauenbewegung (die Suffragetten) crashten Parties und verwüsteten Geschäfte. Sie wurden dafür entmündigt und eingesperrt. Es gab nicht nur Martin Luther King, sondern auch Malcom X, und auch die indische Unabhängigkeitsbewegung wirkt erst homogen durch historische Verklärung um die Figur Mahatma Gandhis. Kurz gesagt also: Diese “Bewegung” ist viele Bewegungen, größer als wir alle denken, und sie „gehört“ niemandem.
Handlungsorientiert stellt sich die Frage: Stärkt es die Handlungsfähigkeit, wenn darüber diskutiert wird, wer hier das Klima besser schützt, oder wird hier wird vielleicht ungesehen ein gesellschaftlicher Dissens über den „richtigen Weg“ zur Klimarettung importiert? Den braucht es, aber woanders und anders. Vielleicht ist es sinnvoller, zu bearbeiten, wieviel Verschiedenheit die Bewegung aushält, in der verschiedene Wege eingeschlagen werden? Die Politologin Catherine Eschle beschreibt soziale Bewegungen durchgehend nicht als „eine Bewegung“, sondern viele, „heterogen und kontinuierlich neu konstruiert“, „diffus und horizontal sozial eingebettet“ und von starken Identitätsdiskursen zusammengehalten. Diese Identitätsdiskurse sind nur im offenen, wertschätzenden Diskurs bearbeitbar.
Es könnte immerhin sein, dass sich an den Differenzen (angeblich stellt sich eine Mehrheit der Bevölkerung auch gegen die Aktionen der “Letzten Generation”) auch etwas festmacht, was wir kürzlich schon andernorts geschrieben haben: Wir als Gesellschaften pflegen einen nachhaltig nicht-nachhaltigen Lebensstil (schreibt der Zukunftsforscher Harald Welzer), und das Problem ist, dass Lebensstilentscheidungen (“nehme ich ein Auto oder das Rad?”) rationaler Überlegung nur sehr begrenzt zugänglich ist – wir entscheiden darüber intuitiv und emotional. Das lässt eine kognitive Dissonanz zwischen dem Wissen und dem Tun entstehen, und diese müssen wir irgenwie kitten. Klimaleugner kitten diese Dissonanz durch Verdrängung von wissenschaftlichen Tatsachen. Andere kitten sie diese durch Beifall für Greta Thunberg (Demos schaden dem eigenen Alltagshandeln nicht, mildern aber die Dissonanz). Ein Blockieren genau dieses Alltagshandelns (nämlich “Autofahren”) macht diese Dissonanz öffentlich sichtbar – das führt zu Ablehnung.
Wie stellen uns wir als #coachesforfuture dazu?
Nach interner Diskusion stellen wir uns zu diesem Thema folgendermaßen auf:
- Grundsätzlich entscheiden (wie auch sonst) alle #coachesforfuture einzeln für sich, mit wem sie arbeiten wollen und mit wem nicht. Es gibt genug Beratende, die auch mit Aktivist:innen der “Letzten Generation” oder “Extinction Rebellion” arbeiten wollen.
- Wir gehen davon aus, dass die Fragen des “richtigen Weges” dialektische Differenzen sind, die notwendigerweise offen bleiben müsssen, um für mehr Klimaschutz und Klimagerechtigkeit handlungsfähig, anpassungsfähig und flexibel bleiben zu können.
- Als Supportsystem für eine große, heterogene, umfassende gesellschaftliche Bewegung nehmen wir selbst keine Position ein oder greifen in den Diskurs ein – es sei denn, wir moderieren ihn (und das tun wir nur auf Auftrag aus der Bewegung).
- In unserer Grundhaltung als Beratende plädieren wir dafür, das Thema frei von extern hineingetragener Kulturkampflogik zu diskutieren, und daran zu arbeiten, in einer breiten, heterogenen Bewegung mit- und nebeneinander zu können.
Claus Faber (Netzknoten Österreich), in Zusammenarbeit mit Susanne Usia (Deutschland) und Kristina Hermann (Schweiz) und allen anderen >170 #coachesforfuture