Wo sich Differenzen zeigen , ist vielleicht Wirksamkeit.


Es ist eine Debatte losgerollt über die Methodiken und Strategien der “Letzten Generation”. Es gibt Gegenstimmen (“nicht zielführend”) und Dissoziierungen (“wir wollen nicht mitradikalisiert werden”). Eine gute Gelegenheit, dass wir als #coachesforfuture deklarieren, wie wir damit umgehen.

Es widerspricht der Haltung von #coachesforfuture, sich inhaltlich zu positionieren – wir positionieren uns also nicht, ob das Ankleben und Bilderrahmenbeschütten gut oder schlecht ist. In unserer Rolle als Beratende nehmen wir also zum Thema „ist die LG zielführend?“ nicht Stellung. Wir sind ein Supportsystem für die Klimabewegung. Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Handlungsfähigkeit der Bewegung als Ganzes zu unterstützen und zu fördern.

Aber ist das nicht gerade ein Thema, das die Handlungsfähigkeit der Klimabewegung massiv berührt? Tragen wir ein paar Bausteine zusammen:

Eines ist klar: Die Diskussion wurde von Klimaleugnern und -verharmlosern begonnen. Es sind insbesondre rechtskonservative bis rechtsextreme Gruppen, die die “Letzte Generation” “radikal” nennen und massive Bestrafungen fordern. Eine Dissoziation innerhalb der Bewegung ist das, worauf sie genau gewartet haben – sie haben nämlich den Radikalisierungsdiskurs begonnen. Die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack hat im österreichischen “Standard” eine sehr treffende Analyse vorgelegt, nach welchem Drehbuch dies erfolgt: Es geht um die Inszenierung eines Kulturkampfs als Ersatz für Politik mit Visionen (https://www.derstandard.at/story/3000000180907/folgt-die-214vp-dem-tory-drehbuch). Ein Import dieses Kulturkampfs würde heißen, ihnen auf den Leim zu gehen und von der Sache abzurutschen.

Historisch hatten alle großen sozialpolitischen Bewegungen (insbesondre die erfolgreichen) große Differenzen im Handeln und in strategischen Zugängen: Die Proponentinnen der frühen Frauenbewegung (die Suffragetten) crashten Parties und verwüsteten Geschäfte. Sie wurden dafür entmündigt und eingesperrt. Es gab nicht nur Martin Luther King, sondern auch Malcom X, und auch die indische Unabhängigkeitsbewegung wirkt erst homogen durch historische Verklärung um die Figur Mahatma Gandhis. Kurz gesagt also: Diese “Bewegung” ist viele Bewegungen, größer als wir alle denken, und sie „gehört“ niemandem.

Handlungsorientiert stellt sich die Frage: Stärkt es die Handlungsfähigkeit, wenn darüber diskutiert wird, wer hier das Klima besser schützt, oder wird hier wird vielleicht ungesehen ein gesellschaftlicher Dissens über den „richtigen Weg“ zur Klimarettung importiert? Den braucht es, aber woanders und anders. Vielleicht ist es sinnvoller, zu bearbeiten, wieviel Verschiedenheit die Bewegung aushält, in der verschiedene Wege eingeschlagen werden? Die Politologin Catherine Eschle beschreibt soziale Bewegungen durchgehend nicht als „eine Bewegung“, sondern viele, „heterogen und kontinuierlich neu konstruiert“, „diffus und horizontal sozial eingebettet“ und von starken Identitätsdiskursen zusammengehalten. Diese Identitätsdiskurse sind nur im offenen, wertschätzenden Diskurs bearbeitbar.

Es könnte immerhin sein, dass sich an den Differenzen (angeblich stellt sich eine Mehrheit der Bevölkerung auch gegen die Aktionen der “Letzten Generation”) auch etwas festmacht, was wir kürzlich schon andernorts geschrieben haben: Wir als Gesellschaften pflegen einen nachhaltig nicht-nachhaltigen Lebensstil (schreibt der Zukunftsforscher Harald Welzer), und das Problem ist, dass Lebensstilentscheidungen (“nehme ich ein Auto oder das Rad?”) rationaler Überlegung nur sehr begrenzt zugänglich ist – wir entscheiden darüber intuitiv und emotional. Das lässt eine kognitive Dissonanz zwischen dem Wissen und dem Tun entstehen, und diese müssen wir irgenwie kitten. Klimaleugner kitten diese Dissonanz durch Verdrängung von wissenschaftlichen Tatsachen. Andere kitten sie diese durch Beifall für Greta Thunberg (Demos schaden dem eigenen Alltagshandeln nicht, mildern aber die Dissonanz). Ein Blockieren genau dieses Alltagshandelns (nämlich “Autofahren”) macht diese Dissonanz öffentlich sichtbar – das führt zu Ablehnung.

Wie stellen uns wir als #coachesforfuture dazu?

Nach interner Diskusion stellen wir uns zu diesem Thema folgendermaßen auf:

  • Grundsätzlich entscheiden (wie auch sonst) alle #coachesforfuture einzeln für sich, mit wem sie arbeiten wollen und mit wem nicht. Es gibt genug Beratende, die auch mit Aktivist:innen der “Letzten Generation” oder “Extinction Rebellion” arbeiten wollen.
  • Wir gehen davon aus, dass die Fragen des “richtigen Weges” dialektische Differenzen sind, die notwendigerweise offen bleiben müsssen, um für mehr Klimaschutz und Klimagerechtigkeit handlungsfähig, anpassungsfähig und flexibel bleiben zu können.
  • Als Supportsystem für eine große, heterogene, umfassende gesellschaftliche Bewegung nehmen wir selbst keine Position ein oder greifen in den Diskurs ein – es sei denn, wir moderieren ihn (und das tun wir nur auf Auftrag aus der Bewegung).
  • In unserer Grundhaltung als Beratende plädieren wir dafür, das Thema frei von extern hineingetragener Kulturkampflogik zu diskutieren, und daran zu arbeiten, in einer breiten, heterogenen Bewegung mit- und nebeneinander zu können.

Claus Faber (Netzknoten Österreich), in Zusammenarbeit mit Susanne Usia (Deutschland) und Kristina Hermann (Schweiz) und allen anderen >170 #coachesforfuture

#coachesforfuture mittendrin

Da kam die Anfrage einer Fachzeitschrift, ob wir nicht über Fridays for Future schreiben wollen. Ich habe abgelehnt: Nein, “über” Fridays schreibe ich sicher nicht – aber “mit” Fridays gerne. Die Herausgeber waren begeistert. Dann gingen wir ans Werk. Fridays und Coaches beforschen sich und einander gegenseitig, und schreiben darüber.

Der gesamte Artikel ist in der Zeitschrift “Supervision” 3/2022 veröffentlicht. Hier eine Zusammenfassung:

Im August 2018 setzte sich eine 15-jährige junge Frau alleine vor den schwedischen Reichstag, statt in die Schule zu gehen. Nicht einmal ein Jahr später waren Millionen junger Menschen weltweit auf der Straße – eine riesige Jugendbewegung. Unzählige Initiativen entstanden in Folge. Aber wer sind diese Leute? Von Außen sind wir verleitet, unseren Projektionen, Wünschen und Sehnsüchten zu folgen. Was medial über “Fridays for Future” bekannt ist, ist ein verzerrtes Narrativ.

Angst und Sorge sind ihre primären Bewegungsauslöser, aber Hoffnung ermöglicht erst das Engagement und damit das gemeinsame Handeln. Dieser Aktivismus verstärkt wiederum die Hoffnung. So ist Hoffnung eine Angstmanagerin. Hinzu kommt Gemeinschaft, geteilte Normen und Werte, die das Gefühl von Wirksamkeit stärken. Bis jetzt in der Literatur wenig beachtet ist Sympathie, Mitgefühl und empatische Zuneigung, die diese Menschen in ihren Gruppen leben. Diese Zugewandtheit geht über ihren persönlichen Kontakt hinaus auf ganz Unbekannte und zukünftige Generationen. Dass diese Hoffnung angesichts der Untätigkeit der Politik schwindet, hat den Begriff environmental grief geprägt, als Klammerbegriff für ein Gesamtempfinden von Angst und Trauer bis zu Überforderung.

Von Außen sind wir verleitet, eine “Bewegung” zu sehen, die sich aber von innen als viele Bewegungen zeigen – heterogen und dynamisch. Wir identifizieren drei Thesen über ihre Verfasstheit:

  • Die Pandemie hat sie nachhaltig geschwächt: Da es nahezu unmöglich war, sich zu treffen, zerfielen viele ihrer Gruppen und konnten ihre Funktion, sich gegenseitig emotional zu halten, nicht erfüllen.
  • Ihr “Erfolg” hat sie geschwächt, weil sie nachhaltig “umarmt” wurden: Ihre Forderungen werden von Mächtigen aufgegriffen und paraphrasiert. In Gestalt-Hinsicht ist das eine Form von Widerstand. Aus systemischer Perspektive ist damit die Leitdifferenz geschlossen, die zwischen Klimabewegung und Gesellschaft klaffte.
  • Die Bewegung kommt durch ihr Wachstum in ein Dilemma zwischen Massenbwegung und Organisation. Wir können nicht davon ausgehen, zu wissen, was sie entwickeln müssen – diese Entwicklung ist völlig offen.

Was braucht diese Bewegung nun?

  • Sie muss ihre Gruppen wieder zum Laufen bringen, weil diese ihr “containment” (Wilfried Bion) wiederherstellen kann.
  • Sie wird stärker als zuvor auf ihren inneren Antrieb zum Handeln aufbauen müssen, weil die große mediale Aufmerksamkeit nicht wieder kommen wird.
  • Sie wird Prozesse brauchen, um den inneren Druck zu reduzieren, zu verlangsamen. Dafür wird sie Räume schaffen müssen – schwierig, angesichts der dramatischen Lage und der geringen Zeit.

Wir #coachesforfuture müssen uns einigen Fragen stellen, unter anderem:

  • Wie gehen wir mit ehrenamtlicher Arbeit ehrenamtlicher Menschen mit der Involvierung um? Es gibt kaum persistente Strukturen, die uns sonst üblicherweise Halt geben.
  • Wie gehen wir damit um, dass die Zukunft dieser Bewegungen auch uns im Dunklen liegen? Die üblichen “role models” aus der OE bieten keine hilfreiche Orientierung.
  • Wie gehen wir damit um, dass wir auf Grund unseres Alters und unserer Position verleitet sind, nicht-beraterische Beziehungsmuster einzugehen? Wie weit rutschen wir in die Rolle der Eltern dependenter Kinder? Wie weit rutschen wir in die Rolle der Eltern konterdepender Jugendlicher? Wie sehr sind wir selbst narzisstisch abhängig angesichts einer Generation, die etwas bewältigen will, was wir (als Generation) gerade angerichtet haben?

In Summe: Wir müssen uns stärker ins Feld wagen als wir gewohnt sind. Wir könnten die Klimakrise als Anlass nehmen, unsere Wurzeln in der teilnehmenden Sozialforschung wiederzuentdecken. Eines ist sicher: Abstinenz geht sich nicht aus.

(Den vollständigen Artikel gibt es hier: Supervision 40(3) 2022 20-27. https://doi.org/10.30820/1431-7168-2022-3-20). Die Zeitschrift Supervision ist eine ehrenamtlich selbstverwaltete Fachzeitschrift und freut sich über jedes Abonnement.

Bitte auch eine Klagsdrohung!

Offener Brief an die Rechtsanwaltskanzlei Jarolim & Partner ()

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe aus den Medien vernommen, dass Sie im Auftrag der Wiener Stadtregierung serienweise Klagsdrohungen an Menschen versendet haben, von denen Sie oder Ihr Mandant vermuten, an der Besetzung der Lobauautobahn-Baustellen beteiligt zu sein oder mit ihnen zu sympathisieren. Viele von ihnen sind noch Kinder.

Ich bin enttäuscht darüber, dass ich keine solche Klagsdrohung bekommen habe. Ich habe als Berater die Plattform „coachesforfuture“ gegründet, sympathisiere mit den Anliegen dieser jungen Menschen, die meine und Ihre Kinder sein können und wegen der Versäumnisse unserer Generation für ihre Zukunft auf die Straße und auf die Baustelle gehen. Ich und meine mittlerweile rund 110 Kolleg:innen im ganzen deutschen Sprachraum beraten sie unentgeltlich – vielleicht reichen diese Umstände für eine Mittäterschaft.

Ich habe auch Vortaten gesetzt, die in einem Gerichtsverfahren gegen mich geltend gemacht werden können: In dieser Region selbst schon einmal eine Baustelle besetzt – die in der Hainburger Au, die mittlerweile ein international rennomierter Nationalpark ist. Weiters habe ich vor Jahrzehnten als Umweltaktivist in Salzburg widerrechtlich mit Dispersonsfarbe Fahrräder an die Staatsbrücke gemalt, wo mittlerweile ein Radweg ist und jedes Jahr mehrere Leben rettet. Ich war auch schon mal in der Lobau. Gegen Zwentendorf war ich zu jung, aber gegen Wackersdorf war ich auch auf der Straße.

Ich möchte Sie daher bitten, mir auch eine Klagsdrohung zuzustellen und sehe einem Gerichtsverfahren freudig entgegen. Ich würde mich auch über eine Verbandsklage an #coachesforfuture freuen und bitte Sie, uns richtig zu schreiben: Nicht Coaches for Future, und auch nicht coaches4future, sondern „#coachesforfuture“.

Mit freundlichen Grüßen, Claus Faber

Kleiner Absatz zur Erklärung, was da vor sich geht: Amnesty International bezeichnet diese Vorgangsweise als “SLAPP” – eine Ohrfeige als Kurzform für “Strategic Lawsuit Against Public Participation” – eine vielgeübte Praxis von finanzstarken Lobbies gegen Bürger:innenprotest. Als #coachesforfuture nehmen wir üblicherweise zu konkreten politischen Forderungen nicht Stellung. Unser Thema ist allerdings Beteiligung, und 13-jährigen Kindern millionenschwere Klagsdrohungen zu schicken, erfordert, sich zu deklarieren.

Es gibt ein paar Möglichkeiten, sich zu positionieren. Eine davon ist die Methode, die Mahatma Gandhi gegen das Salzmonopol der Briten nützte: Ein Inder, der Salz sammelt, wird eingesperrt. Tausende können nicht eingesperrt werden.

Also lade ich alle Menschen, die können, ein: Geht einmal auf die Lobau-Baustelle und schreibt eine Mail an Jarolim & Partner () mit der Bitte, auch geklagt zu werden. Mit hunderten Klagen, von denen sie einen Großteil verlieren würden, werden sie nicht fertig. Das schützt auch jene, die sich ein Verlieren der Klage nicht leisten können.

Sind wir “drin” oder “draußen”?

Wir #coachesforfuture sind mittlerweile 81 Berater/innen. Pro Woche kommen drei bis vier dazu. Und wie es wachsenden communities so geht, haben sie auch ihre Wachstumsschmerzen.

Vorausschicken muss ich: Dieser Text hier ist für die Prozessberater/innen unter uns gemeint – und das sind die meisten. Zur Fachberatung maße ich mir keine Meinung an.

Die Wachstumsschmerzen äußern sich beim Thema: Gehören wir dazu, und wenn – wobei? Was wir in unseren Profilbeschreibungen stehen haben, spricht eine recht heterogene Sprache. Sind wir “drin” oder “draußen”? Führen wir, und was? Wer ist hier das “wir”? Sehen wir uns das mal an.

Wir haben verschiedene Dimensionen, um das anzusehen:

Sind wir Teil des Feldes?

Das ist in jedem Beratungsprojekt eine zu klärende Beziehung. Ich folge in der Regel dem Ansatz aus der Theorie der offenen Systeme, die ich von Exner & Exner kenne: Wir haben das beratene System (das gesamte Kundensystem), das Beratersystem (die außenstehenden Beratenden), das Interventionssystem (wir Beratende und jene, mit denen wir gemeinsam die Veränderung bearbeiten), und alle drei zusammen sind das Beratungssystem – die Einheit von Kunde und Beratenden.

In diesem Sinne sind wir also: Drin und draußen.

Wir sind drin, weil wir mit dem Kundensystem in Interaktion gehen: Das Kundensystem macht etwas mit uns, und wir etwas mit ihm. Wir könnten unseren Job nicht tun, wenn wir uns nicht hineinwagen würden und “es mit uns machen ließen” im Sinne der Lewin’schen Aktionsforschung. Wir wären nicht authentisch und glaubwürdig, wenn wir nur schnöselig von außen draufschauen würden.

Wir sind draußen, weil wir eben gerade nicht so handeln wie das Kundensystem, und auch das müssen wir. Niemand käme zu uns, wenn es nicht zumindest Zweifel gäbe, dass mit dem Verhalten in der Organisation etwas nicht stimmt. Wenn wir also tun wie sie, wären wir Teil des Problems statt der Lösung – eine gleiche, unverwechselbare Sardine im Schwarm.

Wie halten wir das “Draußen”? Wir halten es über folgende Punkte:

  • Wir sind außerhalb ihrer Hierarchie (wenn auch nicht ihrer Machtsysteme).
  • Wir sind zumindest deutlich weniger an die impliziten Beziehungsgeflechte (Edgar Schein nennt diese “Kultur”) gebunden, die das Handeln der Menschen “drin” begrenzen und stabilisieren: Wir sind also freier im Tun.
  • Wir tun nicht, was die Firma für ihre Existenz tut – weder managen noch produzieren noch verwalten.
  • Wir lassen uns – in der Regel – bezahlen, und die dadurch entstehende Austauschbeziehung hält das Verhältnis klar.

Dass wir diese Distanz halten, ist für Außenstehende vielleicht nicht immer sofort verständlich. Für mich ist sie nur die Grundlage der Wirksamkeit als Berater. Wenn wir Teil unserer Kunden werden, können wir nicht mehr verändernd wirken als jenes Management, das uns gerufen hat.

Wer sind nun #coachesforfuture?

Und da wird es schwierig, denn wir haben in unserer Abgrenzung ein paar Löcher, die in der DNA von #coachesforfuture mit eingebaut sind. Insbesondre haben wir ein paar Abgrenzungsmöglichkeiten weggegeben, insbesondre…

  • Wir handeln aus idealistischen und gesellschaftspolitischen Motiven – uns geht es ums Klima und die Zukunft. Es wäre gelogen, hier die Distanten, Unbeteiligten zu spielen.
  • Wir verzichten absichtlich auf die Austauschbeziehung durch Bezahlung.

Die oben beschrieben distante Haltung ist nun eine zutiefst systemische. Es gibt auch andere, und die habe ich auch. Als Gruppendynamiker schaue ich auf unsere Gründerväter: Kurt Lewin, Raoul Schindler und Jacob Moreno hatten alle auch eine gesellschaftspolitische Agenda. “Betroffene zu Beteiligten machen”, sagte Kurt Lewin. Da geht es um Selbstermächtigung, um Selbstergreifung von Gestaltungsmacht. Was anderes tun wir hier? Natürlich sind wir Teil von dem großen Ding hier, weil wir Teil dieser Welt und ihrer Zukunft sind. Aber welcher Teil?

Vorsicht, Autorität!

Hinzu kommt: Ich sehe aus meinen Kontakten heraus eine Gefahr: Wir werden leicht als Autorität gesehen: Wir sind üblicherweise älter, wir stellen Fragen, die mobilisieren, wir verstehen etwas von Führung. Und die Bewegungen haben gerade etwas von Führungslosigkeit. Das ist eine Verführung für uns. Wenn wir ihr nachgeben, dann (finde zumindest ich) haben wir unseren Job vermasselt. Von einem solchen Verständnis als #coachesforfuture würde ich mich distanzieren wollen.

Ein Versuch einer Standortbestimmung

Ich versuche, eine Haltung für uns #coachesforfuture so aufzuzäumen:

  • Die Klimabewegung ist eine Bewegung der nächsten Generation – das lässt sich am schieren Alter der AktivistInnen ablesen: Ihre Gründerin war 15, jetzt ist sie 17. Die Mehrzahl der AktivistInnen ist unter Mitte 20.
  • Diese Bewegung hat in nichtmal zwei Jahren mehr erreicht als unsere ganze Generation: Sie hat den Diskurs gedreht. Sie hat das bewirkt mit anderer Identität, anderen Haltungen und einer neuen Deutungsmacht. Sie sind anders als wir, und auch anders als wir mit 17 waren.
  • #coachesforfuture ist gegründet worden, um zu beraten, und das heißt: sie zu stärken in ihrem Tun – nicht um uns zu stärken durch unser Tun. Das hieße nämlich, mitzumachen.
  • Wenn wir beraten wollen, dann brauchen wir ein Mindestmaß an Unterscheidung, um den Blick darauf behalten zu können: Wie tun sie? Was sehen sie? Was sehen wir? Und was können sie tun, um ihre Situation zu verbessern?

Ein Mindestmaß an Distanz

Ich drücke dieses Mindestmaß dadurch aus, indem ich den Menschen in der Bewegung sage: Leute, das ist eure Bewegung. Ihr versucht, etwas zu retten, was unsere Generation vermasselt hat. Ihr führt diese Bewegung. Wir möchten Euch dabei unterstützen, dass ihr das gut tun könnt.

Wir alle haben eine Menge an Nicht-Coach-Identitäten – ich auch. ich bin “parent for future” eines 12-jährigen Mädchens, und die Frage, ob sie in Frieden ihr Alter wird genießen können, quält mich des Nächtens. Ich habe regelmäßig den Impuls, aufzuspringen, um endlich etwas wirklich wirksames zu tun.

Aus meiner Berateridentität habe ich die Erfahrung gewonnen, dass sich-hinsetzen und wahrnehmen oft viel wirksamer ist.

Ich habe auch eine Menge Zweifel, zum Beispiel: Hinter meinem Ansatz schimmert ein Versuch der “Wiedergutmachung” durch: Ja, ich habe den Klimawandel auch Jahrzehnte nicht gesehen. 1896 zählte Svante Arrhenius Elektronen und schrieb die erste Theorie – sie war im Großen und Ganzen richtig. 1990 kam der erste Sachstandsbericht des IPCC, und der ist auch empirisch bis heute weitgehend unbestritten. Ich habe hier wirklich etwas übersehen. Und es ist nicht wiedergutzumachen. Wie gehe ich damit um? Es ist nicht einfach.

Ich kann mir vorstellen, dass dieser Ansatz nicht unbestritten ist in unserer Community. Gehen wir doch mal in den Diskurs. Wie tun wir mit der Beteiligung, der Distanz und dem Mittun?

Als Erstes würde sich unser internes Forum anbieten. Diskutieren wir unsere Standpunkte. Sie werden uns weiter bringen. Und dann macht eine/r von uns wieder einen Blog-Eintrag daraus. Und dann diskutieren wir weiter.

Kurze Gebrauchsanleitung: zuerst einloggen, dann ins Forum gehen.

#coachesforfuture goes Germany

 

Als meine Tochter mir ihre ein halbes Jahr alten Bergschuhe hinhält und triumphierend sagt “die sind mir zu klein”, dachte ich noch: so schnell kann man wachsen.

Jetzt weiß ich: Das geht noch schneller. Vor drei Wochen ging #coachesforfuture online. Vor einer Woche kontaktierte mich die Berliner Coach und Supervisorin Susanne Usia, dass Deutschland soetwas auch brauchen könnte.

Nach kurzer Recherche war klar: es gibt zwar coachesforfuture.de, aber die Domain gehört einem “grabber”, keinem Coach. Also entschieden wir: Wir erweitern coachesforfuture.org auf den ganzen deutschen Sprachraum. Die Werbung für Deutschland fängt jetzt an, und im Jänner bin ich auf der Changetagung in Basel und werde die Initiative in der Schweiz vorstellen.

#coachesforfuture sucht Programmierer/in

Und nun – braucht #coachesforfuture selbst etwas: Die Website ist darauf programmiert, eine große Handvoll Berater/innen in einer Liste darzustellen. Mit Deutschland kommt nun vielleicht ein Waschkorb nach, und die Liste würde unlesbar, denn: wenn eine Kieler Klimainitiative einen coach sucht, wird sie keinen in Wien finden. Also brauchen wir eine anklickbare Landkarte der #coachesforfuture.

Da ist nun unsere Programmierkenntnis am Ende. Wer eine/n Web-Developer mit WordPress-Praxis kennt, der/die uns dabei unterstützt, können wir mit unseren Aufgaben mitwachsen – bitte melden!

Inzwischen freue ich mich und fürchte mich zugleich vor den ersten Anfragen aus anderen Ländern – eine multilinguale Plattform ist nämlich noch ein ganz anderes Kaliber.

P.S.: Aus der Psychologie kommt die Theorie, dass wir letztenendes alles – egoistisch wie altruistisch – für uns selbst tun. Wenn das stimmt, dann deswegen, weil ich mich das erste Mal seit Langem wieder selbstwirksam und Teil etwas ganz Großen fühle. Und Selbstwirksamkeit ist eine der größten Triebfedern des Menschen, habe ich hier schon mal geschrieben.

Altro- oder Egoismus: Sei’s drum, passt schon 🙂

coachesforfuture geht an den Start

Heute (30.8.2019) geht die erste Welle an Mails raus mit der Bitte, für die Plattform Werbung zu machen. Die Seiten sind erstellt, der Anmeldeprozess programmiert. Jetzt kommt alles darauf an, ob sich Kolleg/innen melden, die mit dabei sein wollen.

Auslöser des ganzen Projekts war ja ein Anruf von jemandem, der bei parentsforfuture mitmacht. Er hatte über Umwege von mir gehört und fragte, ob ich nicht mal vorbeikommen möchte, weil irgendwie wäre die Luft draußen.

Aber eigentlich begann die Initiative noch früher: Als 2015 viele Flüchtlinge nach und durch Österreich strömten, war ich als Nothelfer mit gelber Weste am Wiener Hauptbahnhof unterwegs, habe übersetzt, Notquartiere betreut und mehr. Das war damals einzigartig: Keine der öffentlichen Institutionen war auf diese Menschen vorbereitet, die mit Zügen und zu Fuß in Wien ankamen. Der “Train of Hope” war eine Initiative ganz vieler Leute, die sich ihre Organisationsformen erst gesucht hat. Ich sah eine Menge der Organisator/innen – freiwillig, höchstengagiert, höchstmotiviert, aber für diesen Job nicht ausgebildet und echt gestresst. Damals dachte ich mir, das kann nicht gut gehen.

Ich war nicht der Einzige. Supervisor/innen der ÖVS hatten eine Liste von Supervisor/innen aufgelegt, aus der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer/innen supervidiert wurden. Ein notwendiger Akt. Er hat sicher viel verhütet.

Und jetzt melden sich Menschen aus #fridaysforfuture und melden ähnliche Situationen. Dabei geht es gerade jetzt erst los: Europaweit ist Klimawandel ein politisches Thema – noch nicht unbedingt in tatsächlicher Politik, aber eines ist geschafft: Den Klimawandel leugnet niemand mehr weg.

Meine These: Die Bewegung geht in ihre erste Reifungsphase.

Was heißt das? Wenn die These stimmt, bedeutet das, zwei gegenläufige Bewegungen aufzufangen: Einerseits braucht aktive Interessenvertretung zum Druck der Straße jetzt etwas Weiteres: Das Herangehen an Institutionen. Dafür braucht man Know How, Strukturen, und eigene Formen von Institutionalisierung. Andererseits nimmt diese erste Antwort der Institutionen auch den Wind aus den Segeln der Straßenbewegung.

Dazu gibt es coachesforfuture – denn von Organisation und Organisierung haben wir eine Ahnung. Dabei geht es darum, diese Bewegung nicht zu leiten – sie leitet sich selbst. Was wir beitragen können, ist Beratung. Wir Berater/innen können beitragen dazu, dass die Bewegung selbst ihre eigenen Thesen entwickelt, was jetzt los ist, und ihre nächsten Schritte entwickelt – das nennt man dann Organisationsentwicklung. Wir können beitragen zu Entlasten und Re-Motivation – das nennt man dann Supervision. Wir können beitragen zum Neufinden von Positionen und Rollen, die Einzelne in der Bewegung einnehmen – das nennt man dann Coaching.

Sehen wir, ob es funktioniert.